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Suchen – ersetzen: Gehorsam – ?

25. 3. 2010

Am Sonntag habe ich über den vorgeschlagenen Predigttext gesprochen, aus Hebräer 5.

Über Vers 8 bin ich nicht hinweggekommen:
„So hat er [Christus], obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt.“


Er hat an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Wie bitte? Leiden führt zum Gehorsam? Gefragt ist hier nicht, ob Leid liebevoll macht oder einen Gott näher bringt. Und klar ist auch, welche Art von Leiden gemeint ist: ein schmerzvoller Foltertod am Kreuz.

Gehorsam – meiner Meinung nach ist dieses Wort seit 1945 endgültig verdorben.

Gehorsam ist die Antwort auf den Befehl. Und auf den wurde damals alles abgeschoben: „Ich habe nur auf Befehl gehandelt.“ Die Verantwortung schiebe ich ab auf eine höhere Instanz.

Es gibt höhere Instanzen, es gibt hierarchische Strukturen. Wenn die Lehrerin eine Anweisung gibt, muss der Schüler sie befolgen. Das klingt logisch. Würde ich sagen, sie befiehlt, damit der Schüler Gehorsam leistet, man würde mich geistig nach Preußen schicken.

Das Milgram-Experiment bewies, dass es nicht an einem „deutschen Gen“ liegt, wenn Menschen Menschen auf Befehl Leid zufügen, sondern dass so etwas überall passieren kann. Damals war die Autorität, der Wissenschaftlicher im weißen Kittel, heute kann es auch die Show mit ihrem Moderator sein.

Gehorchen und befehlen gehört weiterhin zum militärischen Bereich. Doch selbst bei der Bundeswehr wurde der „Staatsbürger in Uniform“ das neue Grundmodell des Soldaten, und eine Verweigerung bei unsinnigen oder perversen Befehlen ist per Gesetz toleriert und unterstützt. Nur beim Glauben soll es weiter funktionieren? Sollte Gott ein Kommandeur sein?

Nein, ich halte das Wort „Gehorsam“ in Glaubensdingen für unakzeptabel.


Was stattdessen? Im deutschen Wort steckt das „hören“, wie auch beim Griechischen „hyp-akoué“ (siehe „Akustik“). Wer eine Anweisung hört, folgt ihr.

Die Vorsilbe „hypo“ bedeutet auch „unten, tief“. Dann kann der Begriff bedeuten: „Ein tieferes Hören“. So kann ich ihn annehmen: Ich höre das Wort, das mich zu einem Tun anleitet, und wenn ich ihm folge, dann höre ich tiefer hin, nicht nur mit dem Ohr, sondern mit der ganzen Existenz.

Und umgekehrt. Höre ich tiefer hin, höre ich auf Stimmen aus der Tiefe, etwa von Menschen, die im Leid sind, und ich setze mich diesem Leid aus.

„Jesus hat an dem, was er litt, Tieferhören gelernt.“ Das ist die umgekehrte Richtung. Und sie ist an den meisten anderen Stellen im neuen Testament anders: Jesu hat den Willen Gottes gehört, hat sich den Mächtigen widersetzt – und musste folglich leiden und sterben.

Nein, hier steht der Hebräerbrief den anderen Schriftstellen entgegen.


Und eins noch: Weiß jemand ein schöneres Wort als „Tieferhören“?