Christian Morgenstern:
Die Mittagszeitung
Korf erfindet eine Mittagszeitung,
welche, wenn man sie gelesen hat,
ist man satt.
Ganz ohne Zubereitung
irgendeiner andern Speise.
Jeder auch nur etwas Weise
hält das Blatt.
Christian Morgenstern:
Die Mittagszeitung
Korf erfindet eine Mittagszeitung,
welche, wenn man sie gelesen hat,
ist man satt.
Ganz ohne Zubereitung
irgendeiner andern Speise.
Jeder auch nur etwas Weise
hält das Blatt.
Christian Morgenstern:
Unter Zeiten
Das Perfekt und das Imperfekt
tranken Sekt.
Sie stießen aufs Futurum an
(was man wohl gelten lassen kann).
Plusquamper und Exaktfutur
blinzten nur.
Christian Morgenstern:
Philanthropisch
Ein nervöser Mensch auf einer Wiese
wäre besser ohne sie daran;
darum seh er, wie er ohne diese
(meistens mindestens) leben kann.
Kaum dass er gelegt sich auf die Gräser,
naht der Ameis, Heuschreck, Mück und Wurm,
naht der Tausendfuß und Ohrenbläser,
und die Hummel ruft zum Sturm.
Ein nervöser Mensch auf einer Wiese
tut drum besser, wieder aufzustehn
und dafür in andre Paradiese
(beispielshalber: weg) zu gehn.
Heute ist wieder Welttag des Purzelbaums.
UNICEF Deutschand verweist auf den Hashtag #ikeapurzelt: „IKEA spendet für jeden Purzelbaum eines Kunden oder Besuchers [morgen zwischen 15:00 Uhr und 18:00 Uhr in einem ihrer deutschen Möbelhäuser] einen Euro zugunsten der UNICEF Syrien-Nothilfe.“ Eine sehr gute Idee!
Christian Morgenstern:
Der Steinochs
Der Steinochs schüttelt stumm sein Haupt,
dass jeder seine Kraft ihm glaubt.
Er spießt dich plötzlich auf sein Horn
und bohrt von hinten dich bis vorn.
Weh!
Der Steinochs lebt von Berg zu Berg,
vor ihm wird, was da wandelt, Zwerg.
Er nährt sich meist – und das ist neu –
von menschlicher Gehirne Heu.
Weh!
Der Steinochs ist kein Tier, das stirbt,
dieweil sein Fleisch niemals verdirbt.
Denn wir sind Staub, doch er ist Stein!
Du möchtest wohl auch Steinochs sein?
He?
Christian Morgenstern:
Die Zirbelkiefer
Die Zirbelkiefer sieht sich an
auf ihre Zirbeldrüse hin;
sie las in einem Buche jüngst,
die Seele säße dort darin.
Sie säße dort wie ein Insekt
voll wundersamer Lieblichkeit,
von Gottes Allmacht ausgeheckt
und außerordentlich gescheit.
Die Zirbelkiefer sieht sich an
auf ihre Zirbeldrüse hin;
sie weiß nicht, wo sie sitzen tut,
allein ihr wird ganz fromm zu Sinn.
Christian Morgenstern
Das Grab des Hunds
Gestern war ich in dem Tal,
wo der Hund begraben liegt.
Trat erst durch ein Felsportal
und dann, wo nach links es biegt.
Vorwärts drang ich ungestört
noch um ein Erkleckliches –
Ist auch niemand da, der hört?
Denn nun tat ich Schreckliches:
Hob den Stein, auf welchem steht,
welchem steht: Hier liegt der Hund –
hob den Stein auf, hob ihn – und –
sah – oh, die ihr da seid, geht!
Sah – sah die Idee des Hunds,
sah den Hund, den Hund an sich.
Reichen wir die Hände uns;
dies ist wirklich fürchterlich.
Wie sie aussah, die Idee?
Bitte, bändigt euren Mund.
Denn ich kann nicht sagen meh,
als dass sie aussah wie ein – Hund.
Christian Morgenstern:
Tapetenblume
Tapetenblume bin ich fein,
kehr wieder ohne Ende,
doch, statt im Mai’n und Mondenschein,
auf jeder der vier Wände.
Du siehst mich nimmerdar genung,
so weit du blickst im Stübchen,
Und folgst du mir im Rösselsprung –
wirst du verrückt mein Liebchen.
Meist erleichtert es, wenn sich eine Gefahr in Rauch auflöst. Hier scheint jedoch noch etwas Anderes versteckt zu sein.
Christian Morgenstern:
Das Löwenreh
Das Löwenreh durcheilt den Wald
und sucht den Förster Theobald.
Der Förster Theobald desgleichen
sucht es durch Pirschen zu erreichen,
und zwar mit Kugeln, deren Gift
zu Rauch verwandelt, wen es trifft.
Als sie sich endlich haben, schießt
er es, worauf es ihn genießt.
Allein die Kugel wirkt alsbald:
Zu Rauch wird Reh nebst Theobald …
Seitdem sind beide ohne Frage
ein dankbares Objekt der Sage.
Christian Morgenstern:
Palmström lobt
Palmström lobt das schlechte Wetter sehr,
denn dann ist auf Erden viel mehr Ruhe;
ganz von selbst beschränkt sich das Getue,
und der Mensch geht würdiger einher.
Schon allein des Schirmes kleiner Himmel
wirkt symbolisch auf des Menschen Kern,
denn der wirkliche ist dem Gewimmel,
ach nicht ihm nur, leider noch recht fern.
Durch die Gassen oder im Gefilde
wandert Palmström, wenn die Wolke fällt,
und erfreut sich an dem Menschenbilde,
das sich kosmo-logischer verhält.
Christian Morgenstern:
Die zwei Wurzeln
Zwei Tannenwurzeln groß und alt
unterhalten sich im Wald.
Was droben in den Wipfeln rauscht,
das wird hier unten ausgetauscht.
Ein altes Eichhorn sitzt dabei
und strickt wohl Strümpfe für die zwei.
Die eine sagt: knig. Die andre sagt: knag.
Das ist genug für einen Tag.
Kennst du das einsame Hemmed?
Flattertata, flattertata.
Der’s trug, ist bass verdämmet!
Flattertata, flattertata.
Es knattert und rattert im Winde.
Windurudei, windurudei.
Es weint wie ein kleines Kinde.
Windurudei, windurudei.
Das ist das einsame
Hemmed.
Christian Morgenstern, Das Hemmed
Christian Morgenstern
Der Gingganz
Ein Stiefel wandern und sein Knecht
von Knickebühl gen Entenbrecht.
Urplötzlich auf dem Felde drauß
begehrt der Stiefel: „Zieh mich aus!“
Der Knecht drauf: „Es ist nicht an dem;
doch sagt mir, lieber Herre, – !: wem?“
Dem Stiefel gibt es einen Ruck:
„Fürwahr, beim heiligen Nepomuk,
ich GING GANZ in Gedanken hin …
Du weißt, dass ich ein andrer bin,
seitdem ich meinen Herrn verlor …“
Der Knecht wirft beide Arm empor,
als wollt er sagen: „Lass doch, lass!“
Und weiter zieht das Paar fürbass.
Christian Morgenstern
Fisches Nachtgesang
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Christian Morgenstern
Das Geierlamm
Der Lämmergeier ist bekannt,
das Geierlamm erst hier genannt.
Der Geier, der ist offenkundig,
das Lamm hingegen untergrundig.
Es sagt nicht hu, es sagt nicht mäh
und frisst dich auf aus nächster Näh.
Und dreht das Auge dann zum Herrn.
Und alle habens herzlich gern.
Christian Morgenstern:
Geiß und Schleiche
Die Schleiche singt ihr Nachtgebet,
die Waldgeiß staunend vor ihr steht.
Die Waldgeiß schüttelt ihren Bart,
wie ein Magister hochgelahrt.
Sie weiß nicht, was die Schleiche singt,
sie hört nur, dass es lieblich klingt.
Die Schleiche fällt in Schlaf alsbald.
Die Geiß geht sinnend durch den Wald.
Der heilige Pardauz
Im Inselwald ›Zum stillen Kauz‹,
da lebt der heilige Pardauz.
Du schweigst? Ist dir der Mund verklebt?
Du zweifelst, ob er wirklich lebt?
So sag ichs dir denn ungefragt:
Er lebt, auch wenn dirs missbehagt.
Er lebt im Wald ›Zum stillen Kauz‹,
und schon sein Vater hieß Pardauz.
Dort betet er für dich, mein Kind,
weil du und andre Sünder sind.
Du weißt nicht, was du ihm verdankst, –
doch dass du nicht schon längst ertrankst,
verbranntest oder und so weiter –
das dankst du diesem Blitzableiter
der teuflischen Gewitter. Ach,
die Welt ist rund, der Mensch ist schwach.
Christian Morgenstern
Christian Morgenstern:
Das Wasser
Ohne Wort, ohne Wort
rinnt das Wasser immerfort!
andernfalls, andernfalls
spräch es doch nichts andres als:
Bier und Brot, Lieb und Treu, –
und das wäre auch nicht neu.
Dieses zeigt, dieses zeigt,
dass das Wasser besser schweigt.
Christian Morgenstern:
Das ästhetische Wiesel
Ein Wiesel
saß auf einem Kiesel
inmitten Bachgeriesel.
Wisst ihr
weshalb?
Das Mondkalb
verriet es mir
im Stillen:
Das raffinier-
te Tier
tat’s um des Reimes willen.
Heute muss das… 🙂
Christian Morgenstern:
Schiff „Erde“
„Ich will den Kapitän sehn“, schrie
die Frau, „den Kapitän, verstehn Sie?“
„Das ist unmöglich“, hieß es. „Gehn Sie!
So gehen Sie doch! Sie sehn ihn nie!“
Das Weib, mit rasender Gebärde:
„So bringen Sie ihm das – und das -,“
(Sie spie die ganze Reling nass.)
Das Schiff, auf dem sie fuhr, hieß „Erde“.
Wenn man überlegt: Vor über 100 Jahren erschienen, und in einer Sammlung von Nonsens-Gedichten – dann erstaunt das sehr und erschreckt mich auch.