Sie wusste, es geht aufs Sterben und sie ließ mich rufen um das Abendmahl zu bekommen. Da bin ich nun.
Sie liegt im Bett. Schmales Gesicht, spitzes Kinn – ja, sie weiß es. Sie ist bei vollem Bewusstsein.
Am Bett sitzt neben der Tochter eine alte Freundin. Sie ist da, auch wenn das Reisen ihr Mühe macht. Wir feiern eine kleine Feier zu Viert. Sehr dicht.
Am Schluss spüre ich: Die Sterbende braucht einen eigenen Zuspruch, bevor ich mit dem Segen schließe. Ich spreche das an. Sie ist einverstanden und blickt zu mir auf. Ich fasse ihre Rechte, lege ihr die Linke aufs Haupt. Sie schaut mich mit großen Augen an. Schaut und schaut, sie ist nur Blick. Ich schaue zurück, mein Blick weicht nicht aus. Sie hält meine Hand fest. Ich spreche ein Segenswort. Sie schaut und schaut. Fester Griff in meiner und ihrer Hand. Eine Träne kullert ihr die Wange herab, wir schauen uns weiterhin an. Weitere Tränen kommen still. Ich höre links von mir ein Schniefen, bald auch ein zweites. Und merke, meine Augen werden feucht, bei mir kullert es auch.
Nach einer Weile setze ich mich wieder auf meinen Stuhl. Die alte Freundin zieht die Brille ab und wischt sich mit einem Taschentuch die Augen. Ich tu es ihr gleich.
Schließlich fassen wir uns an den Händen, ich spreche den Segen. Wieder halte ich die Hand der alten Frau. Wieder schauen wir uns an, lange.
Was erspart man sich doch, wenn man sich an die vorgefertigte Liturgie hält.
Schlagwörter: Abendmahl, Augen, Blick, Kommunikation, Sterben, Tränen
7. 11. 2013 um 07:04 |
Bist Du sicher, das Du Dir was ersparen würdest? Für mich hört es sich mehr so an, als würdest Du viel verlieren, auch an eigenen Erfahrungen, wenn Du nicht individuell auf die Menschen eingehen würdest.
7. 11. 2013 um 21:16 |
Individuell eingehen auf Menschen ist mir ganz wichtig. Solche Sätze sind kleine Fluchten, damit ich selbst dann nicht individuell eingehe.. 😉
7. 11. 2013 um 08:18 |
Vielleicht erspart man sich etwas, aber man wird andere nicht in dieser Form berühren, wie du es hier getan hast und auch selbst nicht berührt werden. Schön, wenn man solche Momente zulassen kann, das war ein Segen für diese Frau. Gott hat schon gewusst, warum er dich dahin schickt.
7. 11. 2013 um 21:17 |
Er hat wohl, ja. Und mir hat er auch mehr gesagt als den letzten Satz…
7. 11. 2013 um 09:14 |
Bewegende Szene, die du schilderst. Und ich meine fast, dabei zu sein.
7. 11. 2013 um 21:18 |
Danke, Werner.
7. 11. 2013 um 09:36 |
so wünsche ich mir den Abschied, mit einer Hand, die mich hält …
7. 11. 2013 um 21:20 |
Da ist eine Hand, die hält. So und auch so.
8. 11. 2013 um 07:34 |
Stimmt, das dachte ich auch, nachdem ich mir meinen Kommentar nochmal durchgelesen haben …
8. 11. 2013 um 19:02
Ja, ich liebe diese Doppeldeutigkeit an diesem Punkt. Mir ist sie schon öfter begegnet.
7. 11. 2013 um 09:51 |
Sterben beginnt vorgeburtlich. Energie unvernichtbar, ist Entrophie Mangel an Methode, Wissen, Technik. Verlust oder Gewinn, samt Totenwürden, ist für Lebende, nicht für med. Hirntote, relevant. Reststoffe, die während eines Recyclingvorganges bestimmter organischer Materialien anfallen, werden Spuckstoffe genannt. Erinnere: Zirkelkreisen Lama Spuck. Piep, Piep. piep, Jeder esse was er kann, nur nicht seinen Nebenmann, Ausgenommen nach Vorgabe teurer Magier. 🙂
7. 11. 2013 um 21:26 |
Nach jeder Geburt kommt irgendwann der Tod. Meinetwegen auch vorher. Allein schon wegen Urheberrechtsgesetz und Mietwagenkontrolle.
7. 11. 2013 um 10:35 |
Mir schreckt die Hand davor zurück, hier ein „gefällt mir“ anzuklicken. Für mich wäre das ein Verbililgen dieser Schilderung.
7. 11. 2013 um 21:27 |
Manchmal geht es nicht anders als ‚Gefällt mir‘ zu tippen. Aber ich kann nachvollziehen , was du meinst.
7. 11. 2013 um 14:53 |
sehr berührend Deine Geschichte ….vielen Dank für´s Teilen.
Jetzt hast Du mich an die letzten Tage bei meiner Mutter erinnert, die in wenigen Tagen ihren 4. Todestag hat. Ich hielt ihr die Hände , das tat so gut…. und die Tränen auch, ich habe jetzt auch feuchte Augen
7. 11. 2013 um 21:29 |
Es sind Begegnungen, die sich kaum beschreiben lassen.
7. 11. 2013 um 14:55 |
„Was erspart man sich doch, wenn man sich an die vorgefertigte Liturgie hält.“
Nein, um Himmelswillen, mach das bitte niemals!
So traurig der Anlass auch ist, berühren (mich) Deine Worte sehr. Genau SO sollte es doch sein: persönlich! Und niemand sollte allein gehen müssen. Aber manchmal bleibt leider nichts anderes. Schön, dass es in diesem Fall keine Einsamkeit gab … weder real, noch gefühlt.
7. 11. 2013 um 21:31 |
Siehe unten.
Natürlich soll es so sein. Und es ist wichtig, dass die Intuition die Profession ergänzt.
Keine Bange.
7. 11. 2013 um 15:55 |
Und sie wirkt immer, wie persönlich.
Das hast du so einfühlsam geschrieben, als wäre ich dabei gewesen.
Der letzte Segen gab der alten Dame die Gewissheit, dass sie nun gehen kann.
7. 11. 2013 um 21:33 |
Danke.
7. 11. 2013 um 21:34 |
habe schon einige Tode miterleben müssen.
7. 11. 2013 um 21:35
ich auch.
7. 11. 2013 um 21:37
Bei dir ist das vermutlich beruflich bedingt…
7. 11. 2013 um 21:43
Überwiegend, klar. Nicht nur. Vielleicht auch klar.
7. 11. 2013 um 21:44
Nicht nur, ist mir auch klar….
7. 11. 2013 um 21:47
sind wir uns mal wieder einig.. 🙂
7. 11. 2013 um 21:49
wie schön, wir verstehen uns schon…
8. 11. 2013 um 20:03
na sicher.
7. 11. 2013 um 18:52 |
Sollte der letzte Satz eine Warnung an Dich sein, oder wie kann ich ihn verstehen????
7. 11. 2013 um 21:38 |
Als ob ich’s nur für dich geschrieben hätte, steht eins unten fettgedruckt der Kommentar.
Es hat auch andere irritiert.
ein bisschen ist es auch das Resümee einer inneren Auseinandersetzung mit „liturgischer Korrektheit“. Zu der neige ich nicht (mehr), schon lange nicht mehr.
7. 11. 2013 um 22:42 |
Ich hätte mich auch seeeeehr gewundert, wenn Du Dich noch geneigt hättest….. hihihi
8. 11. 2013 um 18:59
Ja, kommt eben anderes zum Vorschein.
7. 11. 2013 um 21:13 |
Ich bedanke mich herzlich für die vielen Kommentare. einige fragten nach dem letzten Satz. „Distanz“ ist das Leuchtturm-Wort. Ironie verschafft mir Distanz zu Ereignissen, die mich sonst auffräßen. Auch wenn sie so bewegend und aufbauend sind wie dieses.
10. 11. 2013 um 10:12 |
Dieses Nachwort gibt von mir ein „Doppel-Like“
Schönen Sonntag, lieber Theomix!
10. 11. 2013 um 18:51 |
Dankedanke! 🙂
8. 11. 2013 um 16:12 |
Der Liturgieroboter hat Probleme, wenn es darum geht, sich im Local Area Network zu connecten. In den Worldwide-Stream kann er sich auch nicht eintunen. Ein Glück, dass es noch Liturgiemenschen gibt!
8. 11. 2013 um 19:01 |
Und dass es Menschen machen. 🙂
9. 11. 2013 um 21:19 |
*schluck*
10. 11. 2013 um 18:50 |
Ha ja..
10. 11. 2013 um 16:14 |
Ein tröstlicher und verstehender Blick und ein liebevoller Händedruck wären mir – so denke ich – in meiner letzten Stunde auch weitaus willkommener als eine vorgefasste Liturgie…
Du hast halt das Herz wahrlich auf dem rechten Fleck, lieber Jörg…
10. 11. 2013 um 18:52 |
Herzlichen Dank!
Nur das Timing sieht leider oft anders aus.